»Auf die Schiffe, ihr Philosophen!« Friedrich Nietzsche
Die fesselnde Metapher des Segelns steht fĂŒr die Kunst des Unterrichtens. Mehr noch: Das Segeln ist auch eine Metapher des Lebens, der Lebenskunst. Nur wer sich um diese Kunst bemĂŒht, kann Erziehungskunst leben.
»Boote segeln an der Grenze zweier Medien, nĂ€mlich Luft und Wasser. Aus der Luft erhalten sie Antrieb; das Wasser trĂ€gt sie nicht nur, sondern es leistet auch Widerstand, der vom Antrieb ĂŒberwunden werden muss.« (Seemannschaft)
Auch Lehrer sind GrenzgĂ€nger: Ihr Enthusiasmus, ihre Visionen â ohne diese gibt es keine Erziehung â treiben sie voran. Die Kinder (er)tragen sie nicht nur, sondern leisten auch Widerstand, der vom Antrieb ĂŒberwunden werden kann.
Hier wie dort kommt nun die Kunst ins Spiel. WĂ€hlt ein Lehrer diese, bemĂŒht er sich um sie, wird sie auch seinen Unterricht ergreifen. Kunst meint hier Gestaltung im Dialog, kein SelbstgesprĂ€ch, nicht EinprĂ€gung einer Idee in den Stoff, sondern Verwandlung des Stoffes, damit ein Nicht-Sichtbares sichtbar wird.
Jedes Kind trĂ€gt einen unsichtbaren Menschen in sich, wie auch jeder Mensch ein unsichtbares Kind in sich trĂ€gt. Diesem zur Erscheinung zu verhelfen, kann eine Aufgabe der Erziehung, ein Motiv des Unterrichtens sein. Heute meint man vielleicht, der Segler möchte bei der AusĂŒbung seiner Sportart dem hochtechnisierten Alltag fĂŒr geraume Zeit entfliehen. Doch beim Segeln verlĂ€sst man nicht die Welt â ganz im Gegenteil! Der Segler begibt sich auf besondere Weise in die AbhĂ€ngigkeit von natĂŒrlichen, physikalischen und technischen GesetzmĂ€Ăigkeiten, die er sonst im Alltag kaum spĂŒrt.
FĂŒr den Lehrer gilt Ăhnliches. Die Schule ist kein Ort der Weltflucht, vielmehr einem lebendigen GewĂ€sser vergleichbar, auf welchem es möglich ist, in AbhĂ€ngigkeit von den natĂŒrlichen Rhythmen der kindlichen Entwicklung »Fahrt zu machen«. Gelingt dies, kann unterrichten auch Freude bereiten und erquicklich sein.
»Ein Segelboot« â so Francis Heresoff â »ist ein Gegenstand der Kunst und als solcher ein Gegenstand der fortwĂ€hrenden Freude, denn eine Yacht soll hauptsĂ€chlich VergnĂŒgen bereiten.« Wenn in diesem Buch â und es soll nicht eines nur fĂŒr Segler sein! â auch von Strandungen und SchiffbrĂŒchen berichtet wird, dann deshalb, um zu zeigen, dass schiffbrĂŒchig-sein nicht untergehen bedeutet âŠ
Inhalt
Die Kunst des Segelns und die Kunst des Unterrichtens zwischen techne und poiesis. BefÀhigungsnachweise und gute Seemannschaft.
Theorie und Praxis. â Bootskonstruktionen und was sie bewirken. Meide das Seichte! Die VerhĂ€ltnismĂ€Ăigkeit zwischen SegelflĂ€che und Ballast. Wie man die Mitte hĂ€lt und in Fahrt bleibt.
Die Langweiligkeit von RatschlÀgen und die Romantisierung von RealitÀten. Bitte um ErlÀuterungen zum Hilfsmotor.
Gute GrĂŒnde, einen Hilfsmotor zu besitzen. Verlass dich nie blind auf ihn, er soll nur Helfer in Notsituationen sein. Was alles zum Hilfsmotor werden kann.
Erfahrungen mit dem Hilfsmotor. Was alles zum Hilfsmotor werden kann.
Die »Hansensche Seekuh« von John Steinbeck.
Der Antrieb ist der Wind. Der Wind ist Atem. Erziehen heiĂt, richtig atmen lehren. Scheinbarer Wind und wahrer Wind. Das VerhĂ€ltnis zwischen Illusion und Wirklichkeit.
Der Kompass als Instrument; zur Navigation unerlÀsslich, aber mit Vorbehalt anzuwenden: Sich auf den Kompass zu verlassen bedeutet Sicherheit, nur nach dem Kompass zu fahren, Pedanterie
Die Erquicklichkeit, Neuland erkunden zu wollen, Gewohnheiten zu verlassen, sich dem Irrtum auszusetzen. WidersprĂŒchlichkeiten als Notwendigkeiten entdecken. Die Fehlweisung darf nicht vernachlĂ€ssigt werden.
Vorwurf der Besinnlichkeit und Stagnation.
AnkĂŒndigung eines erlebnispĂ€dagogischen Segeltörns fĂŒr Kim.
Tagebuch des Segeltörns mit Kim.
Neue Erfahrungen werfen neue Fragen auf. Alles scheint anders geworden zu sein. Was bin ich in der Biographie der SchĂŒler?
Die Wichtigkeit des Fragen-Könnens. Wurde vor der Reise praktisch oder nur theoretisch geĂŒbt? Hast du deine SchwĂ€chen gezeigt oder warst du ein Schiff ohne LichterfĂŒhrung? â Jugendliche verlangen LichterfĂŒhrung, Kinder LeuchttĂŒrme.
Empörter Hilfeschrei des SchiffbrĂŒchig-Gewordenen.
SchiffbrĂŒchig heiĂt, nicht ertrinken. Bootsreparaturen, selbst gemacht: Stelle ein Notrigg auf, bringe dein Boot mit Bordmitteln wieder in Fahrt.
Dank fĂŒr den Hinweis auf Bordmittel: Gedankenkontrolle, WillensĂŒbung, Gelassenheit, PositivitĂ€t, Unvoreingenommenheit und inneres Gleichgewicht. Die BootsschĂ€den mĂŒssen austrocknen, bevor sie repariert werden können.
Bootssanierung verlangt genaue Materialkunde. Der Umgang mit dem Unterwasserschiff bleibt lange verborgen â der Umgang mit den Segeln bekundet, wie der Sportsmann die Schwingen seines Schiffes behandelt.
Panta rhei, alles flieĂt â der gewaltige Atem des Meeres: Ebbe und Flut; der Rhythmus ist vom Himmel abhĂ€ngig. Mit dem Rhythmus leben, erleichtert eine gute Fahrt. â Vom Wind beeinflusste und hervorgerufene Strömungen. Der Mainstream erzeugt immer auch Neerströme, die man nutzen sollte. Gegen den Strom anlegen! Lehrerkollegien sind HĂ€fen, in denen Wind weht und Strom steht, das mĂŒssen Neuankömmlinge wissen. â Auch Wassertiefen beeinflussen die Stromrichtung. Beachte immer die Stromkanten; Unterwasserhindernisse kĂŒndigen sich so an. Das Unterwasserschiff ist gefĂ€hrdet. Wisse um das Unsichtbare!
Der unsichtbare Mensch â wer ist das? Wo können wir ihm begegnen? Die wissenden Augen der Alten. Wie alt sind die Kinder wirklich? Das Lesenlernen des Unsichtbaren â dazu muss der Blick in die Weite wie auch aufs Zentrum gerichtet sein.
Die Frage nach dem Unsichtbaren ist eine Navigationsfrage nach dem Woher und Wohin. Die westliche Navigationstechnik im Unterschied zur polynesischen. Nicht der wahre Ort ist das allein Entscheidende, sondern der Ausgangsort und das Ziel. Man muss die Leitsterne kennen und den Sternenkompass. Die Nacht in den Unterricht miteinbeziehen, da kann der Unsichtbare mitarbeiten. Ein guter Kamerad der Natur werden bedeutet die Ăberwindung des westlichen Zuschauerstandpunktes â ein wichtiges Ziel fĂŒr Navigatoren, wie auch fĂŒr Lehrer.
Die westliche Navigation hat auch etwas fĂŒr sich â sie ist mehr techne als poiesis, mehr Wissenschaft als Kunst. Der Lehrer als Vorschoter des unsichtbaren Menschens. â Bemerkungen ĂŒber das in schweres Wetter geratene Schiff und Nachfrage, wo eventuell Rettungshilfe angefordert werden kann.
Ende des Briefwechsels. Der Freund ist nicht mehr zu finden, dafĂŒr aber Kim. Der frĂŒhere SchĂŒler erzĂ€hlt einiges von seinem Lehrer. Ein Abschiedsbrief und die Flaschenpost im Watt.
Kleines Seglerlexikon
Ăber den Autor:
Tobias Richter,
geboren 1948, ist leidenschaftlicher Lehrer â und Segler! PĂ€dagogikstudium, Ausbildung zum Waldorflehrer; 1972â1991 Lehrer an der Rudolf Steiner-Schule Wien-Mauer; MitbegrĂŒnder der Goetheanistischen StudienstĂ€tte in Wien; Mitglied der Internationalen Konferenz der Rudolf Steiner-Schulen. Derzeit in der Lehrerbildung in Wien, Hamburg und Zagreb tĂ€tig. Zahlreiche Veröffentlichungen zur WaldorfpĂ€dagogik.