Den Schwerpunkt dieser auf drei BĂ€nde angelegten Untersuchung bilden nicht Institutionen oder Organisationen, sondern die Debatten, die zwischen den Anthroposophen uÌber ihr SelbstverstaÌndnis gefuÌhrt wurden. Die Anthroposophische Gesellschaft soll, zumindest in ihrem Kern, eine Gemeinschaft von GeistesschuÌlern sein.
Die beiden letzten Jahrzehnte vor der Jahrtausendwende stellten die Anthroposophische Gesellschaft vor bedeutende Herausforderungen: einen beispiellosen Aufschwung der Tochterbewegungen ab den 1990er Jahren und eine tiefgreifende Krise in ihrem SelbstverstÀndnis.
Auf verschiedenen Lebensfeldern etablierte sich die Anthroposophie als alternative Kulturbewegung und wurde als solche von der Ăffentlichkeit wahrgenommen. Ihre spirituell fundierten Angebote zur Erweiterung der Berufspraxis in PĂ€dagogik, Medizin, Landwirtschaft, Bankwesen und auf anderen Gebieten stieĂen auf zunehmende Anerkennung, aber auch Ablehnung. Je mehr sich fĂŒhrende Vertreter der Anthroposophischen Gesellschaft und Bewegung in den öffentlichen Diskurs einbrachten, um so mehr stieĂen sie auf diïŹerenzierte Resonanz, bis hin zu herber Kritik.
BeïŹĂŒgelt wurde die Erfolgsgeschichte der Tochterbewegungen durch den welthistorischen Umbruch zu Beginn der 1990er Jahre. In den LĂ€ndern des ehemaligen Ostblocks riefen die durch Anthroposophie inspirierten Lebenspraxen ein ĂŒberwĂ€ltigendes Echo hervor. In zahlreichen LĂ€ndern blĂŒhten neue Initiativen auf. Die geographische und quantitative Ausdehnung brachte jedoch das Problem der Ăberdehnung mit sich, die als QualitĂ€ts- und Substanzverlust wahrgenommen wurde. Die Aufnahme der Anthroposophie in nicht-westlichen Kulturen warf ganz neuartige Probleme auf.
Gleichzeitig wurde die groĂe spirituelle ErzĂ€hlung, von welcher die Sendboten der anthroposophischen Bewegung auf allen Kontinenten beseelt waren, von religiösen und politischen Gegenbewegungen in Frage gestellt. Die anthroposophische Bewegung sah sich mit politischen Kampagnen konfrontiert, auf die sie entsprechende Antworten ïŹnden musste. Die Anschuldigungen reichten vom Sekten- bis zum Rassismusvorwurf.
Die Konfrontation mit Kritik fĂŒhrte nicht nur zu Abwehr, sondern auch zu Selbstkritik. Immer mehr begann die Anthroposophische Gesellschaft und Bewegung ihre Grundlagen in Frage zu stellen. Ihre geistige und rechtliche Verfassung wurde fĂŒr sie selbst zum Problem. Die 1990er Jahre waren gekennzeichnet von der Suche nach Orientierung in einem unĂŒberschaubar werdenden Umfeld. Gebieterisch erhob sich der delphische Ruf nach Selbsterkenntnis, der sowohl an die einzelnen Mitglieder der
Gesellschaft als auch an die Gesellschaft als Ganzes gerichtet war. An der Schwelle zum dritten Jahrtausend sah sich die wirkmÀchtigste esoterische Reformbewegung des 20. Jahrhunderts, die einst angetreten war, die abendlÀndische Zivilisation aus ihren spirituellen Grundlagen zu erneuern, vor die Alternative gestellt: Erneuerung oder Untergang.
1. Auflage
Erscheinungsdatum: September 2022
Seiten: 615 Seiten
Format: 160x240 mm
Umschlag: Hardcover mit zwei LesebÀndchen
Umschlaggestaltung und Satz: Karl Lierl
Herausgeber: Ernst-Michael-Kranich-Stiftung
Verlag: Glomer.com
Ort: Sauldorf-Roth
ISBN: 978-3-9821354-9-6
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